Die Corona-Pandemie hat schonungslos viele Schwächen in unserer Gesellschaft, der Wirtschaft, sowie im Gesundheits- und Bildungssystem aufgezeigt: Mangelhafte Digitalisierung, fehlendes und überlastetes Personal in Krankenhäusern und Pflege, zu wenig Möglichkeiten für Homeoffice.
Der russische Angriffskrieg und die einhergehende Energiekrise mit Zins und Preisanstieg und Wohnungsmangel insbesondere in den Ballungsgebieten, haben die soziale Situation landesweit noch einmal verschärft. Dazu kommt der Klimawandel. Viele Problem- und Spannungsfelder müssen somit gleichzeitig angegangen und sozial verträglich gelöst werden.
Um Lösungswege aufzuzeigen traf sich jetzt die Landkreis-SPD in Kleinostheim zu einem offenen Kreisparteitag mit Zukunftswerkstatt. Die Arbeitsfelder Bauen und Wohnen, Leben und Arbeiten sowie Mobilität wurden mit Impulsreferaten vorbereitet und danach im Wechsel gruppenweise bearbeitet.
Einleitend gab KION-Betriebsratsvorsitzender Özcan Pancarci einen kurzen Überblick, wie die Industrie von den aktuellen Krisen gefordert wird und mit welchen Lehren man gestärkt in die Zukunft gehen kann. Auch Pancarci sieht enormen Veränderungs- und Innovationsbedarf, bei dem Arbeitnehmer und Bürger eingebunden und mitgenommen werden müssen.
Wolfram Paulus, Mitglied im SPD-Kreisvorstand, konstatierte einerseits einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum insbesondere für Alleinerziehende, während es andererseits erhebliche Wohnungsleerstände und Tausende unbebaute Grundstücke im Landkreis gebe. Die bundesweit eingeführte Grundsteuer C für nicht genutzte Bauplätze wird in Bayern nicht erhoben, mit der Folge, dass Bauplätze jahrzehntelang brach liegen. Zumindest vorübergehend könnten dort mobile Tiny-Häuser aufgestellt werden, um die Wohnungsnot zu lindern.
Dazu sollen neue Bauformen barrierefreies und generationsübergreifendes Wohnen ermöglichen. Wichtig sei es, den Fokus auf Renovierungen und Sanierungen zu legen, anstatt weiterer Zersiedelung. Zu preisgünstigerem Wohnen sollten überdies Wohnungsbaugenossenschaften beitragen.
Die Teilnehmenden sahen in der Gründung solcher Genossenschaften eine dringliche Aufgabe des Freistaats sowie der Kommunen.
Für das Thema Leben und Arbeiten stellte Kreisvorstandsmitglied Manuela Bleuel fest, dass ein langer Vormittag nicht ausreiche, um Bildungsmisere, nachhaltige Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Digitalisierung als Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit umfassend zu durchdringen.
Der sich verschärfende Personalmangel bedinge mehr Ehrenamtsarbeit bei Kinder- und Seniorenbetreuung. Ehrenamtliche müssten steuerlich und mit Rentenbeiträgen belohnt werden und es brauche Mentorenplattformen, um den Einsatz von erfahrenen Senioren zu ermöglichen. Medizinische Versorgungszentren (MVZ), analog zum benachbarten Kreis Darmstadt-Dieburg, können auch künftig die Gesundheitsversorgung im Kahlgrund und Hochspessart gewährleisten.
Mit kommunalen „working-spaces“ sieht Stockstadts SPD-Vorsitzender Benedikt Klebing die Möglichkeit, digitale Arbeitsplätze im ländlichen Raum sozialverträglich zu vernetzen. Mit regionalen Online-Marktplätzen müsse mehr Kaufkraft in den Gemeinden bleiben.
Der Landkreis müsse mit der Nutzung von Windkraft und Freiflächenfotovoltaik energieautark werden, forderte die stellvertetende Kreisvorsitzende Anita Peffgen-Dreikorn, die sich dabei auf Unterstützung durch die neue Berliner Gesetzgebung mit Planungsbeschleunigungsgesetz, Wind-an-Land-Gesetz und dem novellierten Erneuerte-Energie-Gesetz (EEG) bezog.
Michail Fotokehagias, Kreisvorstandsmitglied und Landtagskandidat im Stimmkreis Aschaffenburg-Ost, formulierte als Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse auf dem Land und in der Stadt zu schaffen.
Angesichts der gestiegenen Geburtenzahlen sei der weitere Ausbau an Kinderbetreuung dringlich. Klar erkennbar sei aber auch, dass es in spätestens neun Jahren einen weiteren Standort für ein drittes Landkreis-Gymnasium brauche.
Für einen nachhaltigen Tourismus plädierte Stefan Filip vom SPD-Ortsvorstand Haibach. Gegenüber Rhön und Harz sieht er für den Spessart einen gewaltigen Nachholbedarf für eine moderne Wanderinfrastruktur. Für die Autobahnraststätte Hochspessart schlug Wolfgang Jehn ein „Spessart-Infozentrum“ mit einem über die Baumwipfel ragenden Aussichtsturm vor, der Fernblicke bis zu Rhein, Main und Neckar ermögliche. Gerade wenn Lenkpausen eingelegt und Akkus aufgeladen würden, könnte gleichzeitig für unsere Region geworben werden.
Einen bunten Strauß an Ideen für die künftige Mobilität, mit Car- und Bikesharing, Ausbau der Rad- und Fußweginfrastruktur, Fahrradparkhäusern, Verbesserung der Mainübergänge an den Schleusen, autonom fahrenden Zubringerkleinbussen in den Gemeinden, Reaktivierung von Schienenverbindungen (Bachgaubahn) und dem Einsatz von Firmenbussen, präsentierte Michail Fotokehagias, der für Bayern eine echte Verkehrswende einforderte. Mobilität müsse auch bei uns sozialer und klimafreundlicher werden. Mit Tempo 30 innerorts könnten eine Harmonisierung der Verkehrsarten, weniger Unfälle und ein geringerer Energieverbrauch erreicht werden.
Um die erarbeiteten Lösungen zu vertiefen und in die politischen Gremien der Region einbringen zu können, schlug Wolfgang Jehn vor, die vorgestellten Arbeitsgruppen dauerhaft arbeiten zu lassen, um best-practice Beispiele zu gestalten und Modellprojekte vorzubereiten. So müsse nicht jede Gemeinde das Rad neu erfinden.
Bericht: Wolfgang Jehn